Durchbruch in der Zuckerbiologie von Mehrzellern

Forschende klärten erstmals die Struktur eines sehr kleinen, in Zellmembranen steckenden Enzyms auf. In Mehrzellern fügt dieses mittels eines komplexen Mechanismus Zuckermoleküle an Proteine, welche dadurch an die Zelloberfläche geleitet werden und ihre Funktion in der Zell-Zell-Kommunikation ausüben. Die Erkenntnisse könnten die Entwicklung neuer proteinbasierter Medikamente beschleunigen.

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Das Enzym Tryptophan C-Mannosyltransferase (CMT) fügt im Endoplasmatischen Retikulum (ER)Mannose-Zuckerreste an Tryptophan-Seitenketten von entstehenden Proteinen an. Sie erkennt dabei die Aminosäurensequenz W-x-x-W und modifiziert jeweils den davon ersten Tryptophan-Rest. Als Substrat verwendet die CMT Lipid-gebundene Mannose-Moleküle welche aus der ER-Membran hervorragen. (Grafik: ETH Zürich / Joël Bloch)  

Bei Mehrzellern gibt es drei Arten der Protein-Glykosylierung. Die N-Glykosylierung, die O-Mannosylierung und die C-Mannosylierung. Alle diese Vorgänge finden im Endoplasmatischen Retikulum statt, und bei allen knüpfen Enzyme Zuckerreste an bestimmte Stellen bei neu entstehenden Proteinen.

Während die N- und O-Glykosylierung gut erforscht sind, war die dritte Form, die C-Mannosylierung von Tryptophan-Seitenketten, der Forschung lange ein Rätsel. Obwohl 20 Prozent aller sekretorischen Proteine sowie der Membranproteine davon betroffen sind, war bis vor kurzem unklar, wozu die Veränderung diente, wie die spezifischen Proteinsequenzen erkannt werden und wie die dazugehörige Enzym-Reaktion chemisch überhaupt möglich ist.

In einer internationalen Zusammenarbeit haben Forscher der ETH Zürich, des Walter and Eliza Hall Institute of Medical Research (WEHI) in Australien, der University of Chicago, sowie der Universität Bern nun die Struktur und Funktionsweise des verantwortlichen Enzyms, der ‘Tryptophan-C-Mannosyltransferase’ (CMT) aufgeklärt. Die entsprechende Studie ist in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins Nature Chemical Biology erschienen.

Die CMT ist ein Mitglied der Glycosyltransferase-Enzyme der Kategorie C (GT-C), eine der drei Glykosyltransferase-Überfamilien. Das prominenteste Mitglied ist die Oligosaccharyltransferase (OST), welche für die N-Glykosylierung verantwortlich ist.

Ähnlich wie die OST erkennt auch die CMT hochspezifisch bestimmte Sequenzen in Proteinen, jedoch mit dem Unterschied, dass in Säugetieren gleich vier verschiedene CMTs gleichzeitig vorkommen, welche darüber hinaus unterschiedliche Protein-Sequenzen erkennen.

Zucker verhelfen Immuno-Rezeptoren an die Zelloberfläche

Um den Umfang der C-Mannosylierung untersuchen zu können, wurden erst vor wenigen Jahren die notwendigen molekularen Werkzeuge, wie spezielle Antikörper und Massenspektrometrie-Testverfahren, entwickeln. Wie sich herausstellte tritt dieser Vorgang vor allem dort auf, wo Zell-Zell-Kommunikation essentiell ist, insbesondere bei Zytokin-Rezeptoren des Immunsystems und Adhäsions-GPCRs . Letztere dienen wachsenden Neuronen, die sich den Weg durch das Gehirn bahnen, als «Fühler». «Das Thema ist brandheiss, insbesondere für unser Verständnis der Zell-Zell-Kommunikation des Immunsystems.», erklärt Kaspar Locher, Professor für Strukturbiologie der ETH Zürich: «Signal-Moleküle wie Zytokine dirigieren bei einer Infektion die Immunantwort. Während diese und ihre dazugehörigen Rezeptoren seit Jahrzehnten intensiv studiert werden, ist lange vernachlässigt worden, dass die C-Mannosylierung entscheidet, ob ein Zytokin-Rezeptor an die Zelloberfläche gelangt, um seine Funktion auszuüben.»

«Durch unsere Einblicke in die Struktur der beteiligten Enzyme verstehen wir nun fast vollständig, wie die C-Mannosylierung an diese Rezeptoren gelangt», ergänzt der Studienerstautor Joël Bloch, ehemaliger Oberassistent in Lochers Gruppe.

Massgeschneiderter Molekül-Baukasten

Den ETH-Forschenden gelang es, das CMT-Enzym in seiner reinen Form herzustellen. Mit Hilfe von Chemiker:innen des WEHI (AUS) und der Universität Bern bauten sie massgeschneiderte Moleküle, welche CMT-spezifische Proteinsequenzen und Zucker-Substrate imitieren. Dadurch konnten sie das Enzym erstmals im Reagenzglas auf seine spezifischen Eigenschaften testen.

Die Forschenden erkannten schnell, dass die Enzymchemie der CMT neuartig und komplett anders als die der OST sein muss. «In einem solchen Fall können wir den Mechanismus eines Enzyms nur mittels hochauflösenden Strukturaufklärung herausfinden. Das Problem war jedoch, dass sich die CMT bisher nicht kristallisieren liess und für die Kryo-EM zu wenig Masse hatte, denn diese Technik ist bei Proteinen unter 100 kDa besonders schwierig anzuwenden», erklärt Locher.

Antikörper ermöglicht hochauflösende Elektronenmikroskopie

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Links: 2D-Klassen von gemittelter CMT-Fab Partikeln aus Kryo-EM aufnahmen. Rechts Kryo-EM Rekonstruktion der Struktur der CMT, eingefärbt in blau (konstantes GT-C Modul) grün/orange (variables GT-C Modul), pink (gebundenes Peptid bzw. Proteinrest). (Grafik: ETH Zürich / Joël Bloch)

Ein Trick brachte schliesslich den Durchbruch: In Zusammenarbeit mit Forschenden der Universität Chicago stellten die ETH-Wissenschaftler:innen einen synthetischen Antikörper her, der spezifisch an die CMT bindet. Dieser Antikörper erhöhte die Masse des Enzyms so sehr, dass dessen Struktur mithilfe der Kryo-EM aufgeklärt werden konnte. Mithilfe der Kryo-EM Strukturen konnte die von Kaspar Locher geleitete Gruppe schliesslich auch entschlüsseln, wie die verschiedenen CMT-Varianten unterschiedliche Protein-Sequenzen erkennen.

Aufgrund dieser Einblicke könnten die Forschenden nun präziser vorhersagen, welche Proteine im Menschen die Modifikation tragen. Davon erhoffen sie sich das ‘C-Mannosyl-Proteom’ demnächst erfassen zu können.

Von der Entschlüsselung des Peptidbindungsmechanismus’ der CMTs erhoffen sich die Forscher zudem Fortschritte in der Herstellung von CMT-spezifischen Hemmstoffen. Solche Moleküle könnten zu Fortschritten in der Medikamentenherstellung beitragen, etwa solche zur Bekämpfung des Malaria-Erregers Plasmodium falciparum, welches über eine eigene CMT verfügt und diese zur Anheftung an den Wirt benötigt.
Ebenfalls nutzbar machen könnte man sich die Sequenz- und Organspezifität der menschlichen CMT-Variante CMT2. Diese spielt eine Schlüsselrolle in der Spermienentwicklung. Die neuen Erkenntnisse könnten deshalb zur Entwicklung von CMT2-Inhibitoren als Verhütungsmittel für Männer genützt werden.

Ein neuartiger Enzym-Mechanismus

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Links: Kryo-EM Struktur der CMT mit gebundenem Akzeptor-Peptid (Proteinrest, pink) und Inhibitor, der das Zuckersubstrat imitiert, jedoch nicht mit dem Enzym reagiert (cyan). Mitte: Zoom-in Kryo-EM Signal der beiden gebundenen Liganden (blaues Netz). Rechts: Detaillierte Interaktionen der Proteinseitenketten und Substrate im eingefangenen Nahe-Überganszustand (pseudo-Michaelis-Komplex).  

Ein weiteres Rätsel für die Wissenschaft war der enzymatische Mechanismus der CMT. Dieser erzeugt eine einzigartige Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung zwischen Protein und Zucker. Mithilfe eines massgeschneiderten CMT-Inhibitor-Moleküls konnten die Wissenschaftler die CMT mitten in einer Glykosyl-Transferreaktion «einfangen» und eine Kryo-EM-Struktur davon aufklären. Dadurch konnten sie den CMT-Reaktionsmechanismus visualisieren: eine bislang unbekannte Form der elektrophilen aromatischen Substitution, welche durch präzise arrangierte Seitenketten ermöglicht wird. Solche Einblicke könnten zur Entwicklung von Designer-Enzymen beitragen, welche Bindungen zwischen Kohlenstoffatomen katalysieren.

Evolutionär konservierter Schutzmechanismus in Glykosyltransferasen

Mit insgesamt vier verschiedenen Strukturen der CMT gelang es den Wissenschaftern erstmals einen praktisch vollständigen katalytischen Kreislauf eines Enzyms der GT-C Überfamilie zu visualisieren.

Dabei deckten sie einen erstaunlichen Mechanismus auf: Die Zucker-Substrate der CMT sind aufgrund ihrer Lipidbindung aufwändig in der Herstellung und daher besonders kostbar. Wie sich herausstellte, bindet die CMT diese vorerst in einer nicht-reaktiven geschützten Bindetasche. Erst wenn das zu modifizierende Protein oder Peptid an die CMT andockt, wird das Zucker-Substrat durch einen Peptid-Sensor verschoben und in einen hochreaktiven Zustand gebracht.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieser Mechanismus in GT-C-Enzymen evolutionär konserviert ist und verhindert, dass wertvolle Substratmoleküle vorzeitig verbraucht werden. «Nachdem wir vor drei Jahren die allgemeine Architektur der GT-C-Enzyme aufgedeckt haben, haben wir nun ein gesamtheitliches Verständnis über deren Enzymchemie. Es ist ein weiterer Meilenstein in der Glykobiologie», erklärt Locher nicht ohne Stolz.

Bloch, J.S., John, A., Mao, R. et al. Structure, sequon recognition and mechanism of tryptophan C-mannosyltransferase. Nat Chem Biol (2023). externe Seite https://doi.org/10.1038/s41589-022-01219-9

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